In meinem letzten Beitrag habe ich schon einiges über die grundlegenden Prinzipien der Traumdeutung ausgeführt und den Traum einer Fragestellerin beschrieben. Nun werde ich anhand der Großen Tafel den Traum anhand dieses Praxisbeispiels ausführlich deuten.
Falls Sie den vorherigen Artikel noch nicht gelesen haben, würde ich zum besseren Verständnis empfehlen, dies zunächst nachzuholen.
Zur Erinnerung hier noch einmal das Kartenbild:
Die Karte mit der Nummer 29 repräsentiert die Fragestellerin. Sie ist als Träumende der Signifikator für die Bedeutung des Traumes. Daher beginne ich dort mit der Analyse und deute zunächst die Karten im Zirkel der Dame.
Der Eiskristall steht für die Erstarrung und den Wunsch etwas im aktuellen Zustand förmlich einzufrieren, praktisch keine weitere Veränderung zuzulassen. Zusammen mit dem Kreuz, das für das Schicksal oder auch die Lebensaufgabe steht, repräsentiert dies wörtlich eine Erstarrung des Schicksals, es kann sich sozusagen gegenwärtig nicht weiter entfalten und die seelische Entwicklung der Fragestellerin ist vorläufig zum Stillstand gekommen.
Die Schlange, die im Kartenbild auf die Kombination Eiskristall/Kreuz schaut, hatte ich vor dem Auslegen als die Freundin im Traumgeschehen festgelegt. Dass sie hier an dieser Position erscheint, legt nahe, dass sie einen wichtigen Einfluss auf die Deutung des Traumes hat. Daher wird es wichtig sein ihre Rolle noch genauer zu beleuchten, doch dazu später mehr. Interessant ist an dieser Stelle auch, dass die Freundin im Traum ein Feuer legt, was bekanntermaßen Eis zum schmelzen bringt. Man kann also hier bereits vermuten, dass sie in irgendeiner Weise eine Auflösung des Zustands der Erstarrung symbolisiert.
Die letzte Karte im Zirkel ist das Kind, es steht für den Neuanfang und bedeutet, dass in Bezug auf das erstarrte Schicksal oder die Lebensaufgabe eine neue Entwicklung beginnt. Da ich die Zusatzkarten verwende, steht das Mädchen hier im Gegensatz zum Jungen, der in diesem Kartenbild ebenfalls seinen Platz gefunden hat, für den passiven Neuanfang. Also eine Entwicklung, die auch ohne Zutun der Fragestellerin in Gang kommt, was aber nicht bedeutet, dass es ihrerseits keiner Anstrengung bedarf. Das Neue tritt in ihr Leben, auch ohne die Initiative zu ergreifen, die Fragestellerin braucht nicht aktiv danach zu suchen, aber was sie daraus macht, hängt natürlich trotzdem von ihrem Handeln ab.
Als nächstes deute ich nun die Senkrechte, die durch die Karte 29 verläuft, d.h. den Deutungsstrang Tunnel, Dornen, Chamäleon, Kreuz, Dame.
Der Tunnel steht für den Zugang zu etwas Verborgenem, es ist eine Verbindung zwischen zwei Welten, im spirituellen Sinne auch der Zugang zur geistigen Welt. Dieser ist in diesem Fall aus Sicht der Ratsuchenden von Dornen verdeckt. Diese zu überwinden wird schwierig sein und die Dame große Überwindung kosten. Das Chamäleon, als dritte Karte in dieser Reihe, repräsentiert nun die vollständige Anpassung. Die Ratsuchende verändert ihr Auftreten in Abhängigkeit von der jeweiligen Umwelt, so dass sie möglichst wenig Aufmerksamkeit auf sich zieht und vor allem nicht in Widerspruch zu ihrer Umwelt gerät. Dieses Verhalten ist ein großes Hindernis, wenn sie die andere Seite des Tunnels erreichen möchte.
Zusätzliche Klarheit bringt es nun, wenn man ergänzend die Häuser mit in die Analyse einbezieht. Das Chamäleon liegt im Haus des Turmes, d.h. dass es darum geht, dieses Verhalten der unbedingten Anpassung an die Umwelt aufzugeben und sich so zu verhalten, dass sie sichtbarer für die Menschen in ihrem Umfeld wird. Dem Paradigma „wie innen, so außen“ folgend, gilt dies dann in gleichem Maße für die andere Seite des Tunnels. Wenn die Fragestellerin sichtbarer im Außen wird, dann wird sie auch sichtbarer im Innen, d.h. in diesem Fall sichtbarer für die geistige Welt. Zusammen mit dem Kreuz sieht man, dass es hierbei für die Fragestellerin um ein Lebensthema geht, d.h. die Überwindung dieser Situation ist eine Lebensaufgabe.
Die an das Chamäleon angrenzenden Dornen liegen im Haus der Ruten, die insbesondere für die Auseinandersetzung stehen. Sich mit dem angesprochenen Thema zu beschäftigen und Lösungen zu finden, wird für die Ratsuchende eine im wahrsten Sinne des Wortes dornige Angelegenheit werden. Aber sie wird sich dadurch, mit dem Tunnel im Haus des Schiffes, auf eine Reise zu verborgenen Orten machen.
Als nächstes betrachte ich die Diagonale Schildkröte, Eiskristall, Dame. Ein kurzer Deutungsstrang, der sich nahtlos in die bisherige Deutung einfügt. Die Schildkröte symbolisiert den Rückzug in sich selbst, der hier zusammen mit dem Eiskristall darauf hinweist, mehr nach außen zu gehen, um sich aus der Erstarrung zu lösen. Es kann aber auch bedeuten, dabei langsam und mit Bedacht vorzugehen. Die Karte liegt im Haus der Störche, die für Veränderung stehen. In diesem Sinne kann man deuten, dass die Ratsuchende die Veränderungen in ihrem Verhalten langsam angehen sollte, um sich nicht zu überfordern.
Zuletzt schaue ich mir noch die Diagonale Dame, Schlange, Bär, Feuer, Blumen an. Dieser Deutungsstrang ist für mich ein Hinweis auf die Rolle der Schlange, bzw. der Freundin. Im Traum hat die Schlange eine bedrohliche und vermeintlich böse Rolle, denn sie legt das Feuer und bedroht das Leben der Fragestellerin. Jedenfalls wird es von der Träumenden so wahrgenommen.
Im Kartenbild sehen wir anhand dieser Diagonalen jedoch, dass die Schlange eine durchaus positive und stärkende Kraft ist. Sie symbolisiert hier mit den Karten Bär und Feuer, die Macht des Feuers und seine unbändige Wandlungskraft. Die Tatsache, dass das Feuer im Haus des Fuchses (Falschheit) liegt, zeigt zusätzlich, dass die Situation im Traumgeschehen von der Träumenden falsch eingeschätzt wird und keinesfalls eine Bedrohung darstellt. Auch die Blumen in diesem Deutungsstrang sind eine überaus positive Karte, die darüber hinaus auch noch doppelt bestätigend im Haus der Schlange liegt.
Um diese Einschätzung noch zu vertiefen, schaue ich mir auch die Wolken an, die vor dem Auslegen von mir definiert wurden als die „bedrohliche Atmosphäre“ im Traum. Sie liegen im Haus des Herzens, also der Liebe. Neben den Wolken liegt die Sonne, die allerhöchste Glückskarte im Lenormand. Und darüber der Engel als Symbol für die Führung durch die geistige Welt. Positiver kann es kaum sein. Und die Krone im Haus der Sterne zeigt zuletzt auch noch, dass den Wolken eine besondere spirituelle Bedeutung zuteil wird.
Der Grund für die Fehleinschätzung der Träumenden während des Traumes liegt vermutlich im unterbewussten Widerstand, den die Fragestellerin gegenüber ihrem bereits angedeuteten Lebensthema aufgebaut hat. Dies lässt sich gut weiterverfolgen, wenn man sich die Karte des Herrn anschaut. Im Traum war es der Lebenspartner, der die brennende Werkstatt nicht verlassen wollte und zur Fragestellerin gesagt hat, dass sie den Raum nicht verlassen dürfen.
An dieser Stelle ist es wichtig zu verstehen, dass die in Träumen erscheinenden Person nur in den seltensten Fällen tatsächlich auch diese Menschen symbolisieren. Tatsächlich ist es so, dass sie zumeist einen Persönlichkeitsanteil des Träumenden repräsentieren. In diesem Fall ist es der Anteil, der keine Veränderung möchte. Dies wird auch durch die Karten bestätigt, wenn wir sehen, dass der Berg beim Herren liegt und er sich auch noch im Haus des Baumes befindet, der ebenfalls für die Unbeweglichkeit und Starrheit steht.
Im Traum überwindet die Ratsuchende diese Bewegungslosigkeit, initiiert durch das Feuer, das die Freundin gelegt hat. Sie findet das „Loch“ in der Tür, überwindet die Zurückhaltung des Lebenspartners und verlässt den Raum. Interessanterweise sagte die Fragestellerin bei der Erzählung ihres Traumes tatsächlich „das Loch in der Tür“ und nicht „der Spalt“, wie es naheliegender gewesen wäre. Es ist auffällig, dass dies auch mit der Darstellung der Karte Tunnel sehr korrespondiert, die ja in dem bereits besprochenen Deutungsstrang eine wichtige Rolle gespielt hat.
Alle Symbole dieses faszinierenden Traumes im einzelnen detailliert zu deuten würde den Umfang dieses Beitrags sprengen, aber Sie können selbständig als Übung die hier angedeuteten Stränge und Symbole sehr gut noch weiter vertiefen. Ich möchte zuletzt lediglich noch das Traumsymbol der beiden Polizisten erklären, weil es einige sehr interessante Analogien zwischen Traum und Kartenbild repräsentiert.
Festgelegt hatte ich die im Traum erscheinenden Polizisten auf die Karte Waage, diese befindet sich nun im Kartenbild im Haus des Kreuzes, d.h. dieses Traumsymbol kann als Repräsentant des Schicksals verstanden werden. Daneben liegen die Sterne im Haus des Ankers, was als spirituelle Arbeit gedeutet werden kann. Darüber der Schlüssel im Haus der Dame, also der Erfolg für die Fragestellerin, oder auch ein Hinweis auf das Traumsymbol des Loches in der Tür, das ich festgelegt hatte. Außerdem die Glocke, die immer ein Signalgeber ist und darauf aufmerksam macht, dass es jetzt Zeit für etwas ist. Daneben noch der Park im Haus der Sonne, was erneut ein Hinweis darauf ist, ins Außen zu gehen, oder genauer gesagt, nach außen zu strahlen, wie die Sonne.
Erinnern wir uns jetzt an den Traum, dann haben die Polizisten mit dem Finger auf die flüchtende Fragestellerin gezeigt, direkt nachdem sie durch das Loch in der Tür geschlüpft ist. Die Geste des Zeigens ist nichts anderes als ein Signal zu geben und zu sagen „es ist Zeit für dich“. Die Polizei selber ist im weitesten Sinne die Exekutive, sie setzen die Gesetze durch, auf die die Gesellschaft sich geeinigt hat. In diesem Sinne ist sie ein wunderbares Traumsymbol für die Bedeutung des Schicksals. Denn auch das Schicksal ist nichts anderes als die Exekutive des Seelenplans.
Bringen wir Traumgeschehen und Kartenbild an dieser Stelle zusammen, dann zeigt in beiden Fällen das Schicksal auf die Träumende und möchte ausdrücken, dass es jetzt Zeit ist nach Außen zu gehen und ihre Bestimmung zu erfüllen.
Ein schönes Schlusswort für diese Traumdeutung, wie ich finde.
Ich hoffe, dass dieser Artikel für Sie dazu beitragen konnte sich dem vielschichtigen Thema Traumdeutung ein wenig zu nähern und Sie es bei nächster Gelegenheit einfach mal mit einem Ihrer eigenen Träume versuchen.